Der praktische Kunstunterricht – Malen und Zeichnen:

Der praktische Kunstunterricht wird epochenweise in kleineren Gruppen gegeben. Im zeichnerisch-malerischen Unterricht (Kunstunterricht) kommen vielfältige Techniken zur Anwendung: Kohle-, Bleistift-, Federzeichnungen, Druckgrafik, Aquarelle, Tempera u.a. Die Schülerarbeiten werden während des ganzen Jahres im Schulgebäude ausgestellt.
Kunst an Waldorfschulen ist nicht nur ein Fach: Sie durchdringt die ganze Pädagogik. Es ist nicht das fertige Ergebnis, auf das es in der Waldorfpädagogik ankommt. Entscheidend ist der Weg, auf dem Kinder und Jugendliche sich Fähigkeiten erarbeiten, die weit über den Bereich des Gestalterischen hinausgehen. Wenn die Schüler malen oder zeichnen, arbeiten sie nicht nur an einem Bild, sondern vor allem an sich selbst: Sie stellen fest, dass keine künstlerische Form ohne Ausdauer und beharrliche Üben entstehen kann und dass sie ihren ganzen Willen einsetzen müssen, um zu verwirklichen, was sie sich vorgestellt haben.
Indem die Heranwachsenden ihren Gestaltungswillen im künstlerischen Prozess üben, schulen sie die Willenskräfte auch für andere Lebensbereiche.
 

Zeichnen in der 9. Klasse

Die Schwarzweißzeichnung steht in der 9. Klasse im Vordergrund. Als Hauptarbeit gilt es ein Tiermotiv auf DIN A 2 zu zeichnen und einen Entwurf für einen Linoldruck zu entwickeln. Zusätzlich werden im Anschluss verschiedenste Übungen mit Kohle und Tusche angeleitet. Die Liste der Motive ist lang. Wichtig bei den Zeichnungen ist genaues Beobachten und Betrachten der Tierabbildungen und Gegenstände, um die Proportionen, die Perspektive, die gesamte Form richtig wiederzugeben. Bei der Ausarbeitung kommt es sehr auf die Schraffur an, die dem Motiv dann die Plastizität, das Lebendige verleiht. Helligkeiten und Dunkelheiten müssen hierbei richtig gesetzt werden und die Übergänge fein ausgearbeitet.
Ebenso muss die Druckplatte für den Linoldruck mit viel Geduld , Feingefühl und Konzentration angefertigt werden. Bei einem Linoldruck geht es zum Beispiel darum, Rhythmen und Strukturen inein spannungsvolles Gleichgewicht zu setzen. Nicht die Licht- und Schattenbildung spielt eine Rolle, wesentlich ist für die Schüler auch die materialgerechte Bearbeitung der Oberfläche. Auch hier werden Schlüsselkompetenzen wie Durchhaltevermögen und Willensschulung gefördert.
 

Malen in der 10. Klasse – Licht und Schatten, Farbgefühl

Um das 15. -16. Lebensjahr beginnt nun ein neuer Abschnitt. Die Jugendlichen beginnen jetzt mit der Umwelt mitzuschwingen und dieses Erlebnis in bewusster Distanz wahrzunehmen, zu beschreiben und künstlerisch umzusetzen. Nun ist es möglich, in eine freiere, den künstlerischen Prozessen angemessene Gestaltung einzutauchen. In der Landschaftsmalerei mit ihren atmosphärischen Stimmungen wird die Farbe in den Gesamtkomplex des Bildes verwandelt und integriert.
Licht und Farbe sind eines der künstlerischen Ausdrucksmittel der 10. Klasse. Künstlerisch findet sich diese Fragestellung bei Turner und später bei den Impressionisten. Durch übungsweises Nachmalen einzelner Werke oder durch stilgemäße Eigenschöpfungen, die im Unterricht entstehen, schulen die Schülerinnen und Schüler ihr Auge und ihr Farbgefühl durch Umsetzung subtilster Nuancen. So werden zum Beispiel mit Aquarellfarben feinstgeschichtete Lasurbilder gemalt. Es geht darum ein Farbgefühl für die Malerei zu vermitteln. Eine sehr beliebte Aufgabe unter den Schülern ist auch das Kopieren von Bildern, die sie aus der Kunstgeschichte kennen. Dabei geht es vor allem darum, die gleichen Farbtöne und Formen herzustellen.
 

Malen in der 11.und 12 Klasse – Seele und Farbe

Aber auch die Erfahrungen mit anderer Farbenmaterie, wie Kreide oder Acryl ab Klasse 11 sind wesentlich. Van Gogh und Cezanne waren es, die den schönen Schein der Oberfläche der Impressionisten aufbrachen, um zum Wesen von Farbe und Form in neuer Weise durchzudringen. Dieser Prozess, vom schönen Schein der Oberfläche zum existentiellen Wesen der Farbe, sowie den Abstraktionsprozess, vollziehen die SchülerInnen im Laufe der 11. Klasse.Kunstgeschichtlich gesehen: der Schritt vom Impressionismus zum Expressionismus.In der 12. Klasse die künstlerische Umsetzung des Portraits und der menschlichen Gestalt von primärer Bedeutung, sowie die Vorbereitung auf eventuelle prüfungsrelevante Fachhochschulthemen. Hierbei sind alle bisher erworbenen zeichnerischen und malerischen Fähigkeiten gefordert. Hinzu kommt ein qualitativ neuer Umgang mit der Farbe, die nun individuelle Qualitäten zum Ausdruck bringen soll. Beim Anfertigen einer Radierung lernen die Schüler außerdem die Technik des Tiefdruckes mit einer alten Radierpresse kennen. Die SchülerInnen erleben den Zusammenhang von Seelenzustand und Farbe auf neuer Stufe. Die Frage nach dem Wesen der Farbe knüpft sich an die Frage nach dem Sein des Menschen.
Der Kreis schließt sich. Waren die Schüler in den ersten Schuljahren instinktive Expressionisten, so handelt es sich in der 11. und12. Klasse um einen bewussten Umgang mit Farbe und Form, den sie im Laufe der Schulzeit durch intensive Auseinandersetzung mit der Perspektive, dem Hell-Dunkel, der Oberflächenstruktur, den Formrhythmen, der subtilenimpressionistischen Farbmischung und der Ausdrucksfarbe errungen haben.